22
Mrz
2013

10. Januar

10. Januar
Heute habe ich beschlossen, mein Tagebuch fortzusetzen. Natürlich kann ich mich nicht hinsetzen und jeden Tag schrei-ben, denn ich muss ja noch die zahlreichen Versicherungen und Ärzte und Krankenversicherungen befriedigen. Auch die wollen ihren Anteil am Papierkram.
Ab Februar werde ich wieder arbeiten gehen, ich muss mich selbst wieder sozialisieren. Inzwischen spreche ich fast nur noch pferdisch. Mit meiner Mutter spreche ich gar nicht mehr. Vergangene Woche versprach sie mir noch am Telefon, niemanden mehr je anzurufen. Zwei Tage später wusste mein Anrufbeantworter das Gegenteil zu berichten.
Das neue Jahr fing gar nicht so übel an. Ich hatte mir für Sil-vester nur zwei Flaschen Bier gekauft, eine davon köpfte ich zum Abendbrot, die andere erlebte Mitternacht auch nicht. Den Fernseher brauchte ich nicht anzumachen, meine unterbelichtete Wohnungsnachbarin aus dem Nebenaufgang sorgte dafür, dass ich auch ohne Fernsehzeitung über das Programm informiert war. Leider gab es fast nur Musiksendungen, ich dachte wieder an mein Ohropax (übrigens ein schönes Wort: Frieden für die Ohren). Ich machte es mir mit meiner neuen Nein-Sage-Bibel, die mir mein neuer bester Freund Max zur Unterstützung meiner guten Vorsätze geschenkt hatte, auf dem Sessel bequem. Dazu passte wunderbar das Buch meiner Freundin Frau Professor „Briefe an mein 16jähriges Ich“ (in englischer Sprache). Ich therapierte mich also selbst, während draußen ein Krieg tobte und nebenan offenbar eine Orgie stattfand. Ab und zu kam Paul vorbei und schaute, ob ich immer noch glücklich bin mit meiner Lektüre. Wir spielten noch ein bisschen Monopoli, Paul verlor wieder einmal, diesmal jedoch nicht an mich, sondern an „Achso-Nick“ (so genannt, weil er sich, bevor er etwas sagt, mit der Hand über die Stirn streicht und „achso“ sagt). Kurz vor Mit-ternacht machten sich die Jungs mit ihrer Munition auf den Weg, die alte Neustadt in unserer Kleinstadt zu sprengen. Zufrieden mit meinem Schicksal ging ich duschen und dann ins Bett. Ich schlummerte schon friedlich, da bimmelte das Telefon. Paul ging ran. Und um 2 Uhr klingelte es an der Tür. Sinnlos, an so einem Tag zeitig ins Bett zu gehen.
Am 2. Januar entschloss ich mich, meiner Mutter ein gesun-des neues Jahr zu wünschen. Außerdem wollte ich mit dem Hund spazieren gehen. Als ich bei ihr aufschlug, hatte ich das Gefühl, dass sie mir kein gesundes neues Jahr wünschen wollte. Sie brauchte Geld und einen Termin bei einer neuen Fußpflege. Ich steckte also die EC-Karte ein und merkte mir die PIN. Dann wanderten der Hund und ich los. Bei der Sparkasse gab es auch nach zwei Versuchen am Automaten kein Geld. Ich rief meine Mutter an und sagte, dass die PIN wahrscheinlich falsch sei, ich es ein drittes Mal nicht versuchen wollte. Dann holte ich den Termin für die Fußpflege und wanderte dann mit dem Hund weiter. Plötzlich machte mein Mobilphone Terror. Immer, bevor ich es aus der Tasche gefischt hatte, war das Gespräch weg. Unterdrückte Nummer. Genervt rief ich meine Mutter an und fragte, ob sie dauernd Terror macht. „Ja,“ war die Antwort. „Ich mache mir Sorgen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass bei der Sparkasse etwas passiert.“ Ich war schockiert und fragte nochmal nach: „Wie? Ich war todkrank, hab mir alle drei Wochen die Seele ausgekotzt und wäre fast draufgegangen. Da hast du dich nicht gesorgt. Und jetzt, wo ich deine Sparkassenkarte dabei habe, machst du dir Sorgen?“ Leider war auch diesmal die Antwort „ja“. Wie in Trance lief ich nach Hause, legte alles auf den Tisch und ging, um nie wieder zu kehren.
Als ich nach Hause kam, erzählte mir Paul, dass Oma schon dreimal angerufen hätte, ich hätte ihre PIN noch. Ich schwor mir selbst, dass es nun an der Zeit wäre, diese Verbindung zu kappen, auch wenn es meine Mutter ist.
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